Die deutschen Tischtennis-Herren vom Bundesstützpunkt Düsseldorf – Dimitrij Ovtcharov, Timo Boll und Patrick Franziska – spielten einen klasse Team-Wettbewerb bei den Olympischen Spielen und mussten sich erst im Finale der Übermacht China geschlagen geben. Herzlichen Glückwunsch zur Silbermedaille!
Nachfolgend ein ausführlicher Spielbericht des Deutschen Tischtennis-Bundes:
Dimitrij Ovtcharov begeistert gegen Fan / Boll mit starkem Match gegen Ma Long
Deutschlands Goldmedaillenträume zerbarsten auch in Tokio 2020 an der chinesischen Mauer, aber der Kampf, den Dimitrij Ovtcharov, Timo Boll und Patrick Franziska den Nummern 1, 2 und 3 der Welt im olympischen Finale boten, war ein begeisternder. Zum vierten Mal in Folge gewann China – diesmal durch ein 3:0 über Deutschland – den 2008 eingeführten Team-Wettbewerb im Tischtennis. Die sich heftig wehrende DTTB-Auswahl holte zum zweiten Mal nach Peking 2008 eine fast golden glänzende Silbermedaille.
„Im Finale die Chinesen auf ihr höchstes Niveau getrieben“
Bundestrainer Jörg Roßkopf hob unmittelbar nach dem Finale die überragenden Leistungen seines Teams hervor: „Die Jungs haben ein großes Turnier gespielt, auch im Finale. Wir haben unsere kleine Chance gehabt, aber China war unglaublich fokussiert. Das waren wir zwar auch, aber China ist eben mit zwei Spielern im olympischen Finale und den Nummern eins bis drei der Welt eine Klasse für sich. Leider haben wir im Doppel heute einen etwas schlechten Start erwischt, allerdings auch gegen das beste Doppel der Welt gespielt. Ich bin stolz auf meine Mannschaft. Wir werden nicht aufhören mit unseren Versuchen, China anzugreifen.“ DTTB-Ehrenpräsident Hans Wilhelm Gäb schickte unmitelbar nach dem Endspiel Glückwünsche nach Tokio: „Wir haben die Chinesen im Finale auf ihr höchstes Niveau getrieben. Beide DTTB-Teams haben unserem Sport Ehre gemacht und über die TV-Bilder nachdrücklich bewiesen, welch ein harter und athletischer Leistungssport Tischtennis ist.“
Ovtcharov bringt die Nummer eins der Welt ins Wanken
Kein Match des Finals verdeutlicht den offenen Schlagabtausch zwischen Deutschland und China mehr als das mit schier unglaublichen Hochgeschwindigkeits-Ballwechseln gespickte Duell zwischen Dimitrij Ovtcharov und Fan Zhendong. Als schien es um die Goldmedaille zu gehen, wer über die härteren Rückhandschläge verfügt, prügelten die Nummer acht der Welt und der aktuelle Ranglistenerste die Bälle auf die Seite des anderen. Dreieinhalb Sätze lang erdrückte der in den Olympia-Tagen spielerisch und mental stets an sein Limit gehende World-Cup-Sieger von 2017 den 24-jährigen Asiaten fast mit seiner Präsenz und seinem Siegeswillen, doch dann veränderte ein einziger Ballwechsel das Momentum. Bei 2:1-Führung und 4:5-Rückstand im vierten Durchgang touchierte ein Schlag Ovtcharovs in einem der vielen begeisternden Topspin-Duelle die Netzkante, der Ball fiel neben dem Tisch wie ein Stein zu Boden. Doch Fan Zhendong verhinderte den 5:5-Ausgleich mit einem unglaublichen Sprint und manövrierte den Ball noch irgendwie auf den Tisch, dann parierte der Chinese auch noch den nachfolgenden Schmetterball Ovtcharovs mit einer übermenschlichen Reaktion – 4:6 statt 5:5. Fan gab anschließend in Satz vier nur noch einen einzelnen Punkt ab, den fünften Durchgang beherrschte er mit 11:3.
„Das mit Abstand physisch und psychisch schwerste Turnier für mich“
Dimitrij Ovtcharov beschrieb sein Einzel anschließend als das vorentscheidende am heutigen Tag: „Ich habe versucht, Präsenz in der Box zu zeigen. Die Jungs haben mich mit allem, was sie haben, unterstützt. Ich war heute nah dran gegen Fan Zhendong, aber wenn man ein, zwei Sekunden ein bisschen die Spannung verliert oder unaufmerksam ist, gehen schnell die Punkte weg und der Satz ist schon wieder Geschichte. Schade, dass es dann nicht mehr zusammengelaufen ist. Wenn ich das Spiel hole und es dann 1:1 steht, hat Timo noch mal mehr Chancen und Patrick sicherlich hinten raus auch.“ Die Erschöpfung des Deutschen nach dem Finale war unübersehbar: „Es war das mit Abstand physisch und psychisch schwerste Turnier, das ich jemals gespielt habe. Es waren viele unglaublich harte Spiele über einen langen Zeitraum. Ich musste ganz tief in mir immer wieder viel Energie finden.“
Ma Long gewinnt das Duell der Weltstars gegen Timo Boll
Bei einem 0:2-Rückstand standen sich zwei der Größten des Tischtennissports noch einmal in einem olympischen Finale gegenüber, und auch in diesem Match verkaufte sich Deutschland wieder teuer. Am Ende unterlag Rekord-Europameister Timo Boll aber dem zweimaligen Einzel-Olympiasieger Ma Long, mit dem er bei den Weltmeisterschaften 2017 in Düsseldorf gemeinsam im Doppel angetreten war, in einem begeisternden Match mit 5:11, 9:11, 13:11 und 7:11. Der 40 Jahre alte ehemalige Weltranglistenerste fand mit zunehmender Matchdauer immer besser zu seinem Spiel, wurde aggressiver und wehrte gegen den acht Jahre jüngeren Chinesen, den wohl besten Spieler aller Zeiten, drei Matchbälle im dritten Durchgang ab. Satz vier mit zahlreichen begeisternden Ballwechseln verlief ebenfalls auf Augenhöhe, den Sieg Ma Longs, des Außerirdischen, konnte Timo Boll allerdings trotz einer großartigen Leistung und zweier weiterer abgewehrter Matchbälle nicht verhindern.
„In einem Olympia-Finale kämpft man bis zum letzten Ball“
Timo Boll lobte seinen Gegner und die chinesische Mannschaft: „Mir hat ein bisschen der Touch gefehlt. Ma Long spielt sehr präzise und mit einer hohen Qualität. Er ist nicht umsonst zweifacher Olympiasieger im Einzel. Ich habe alles versucht: Es ist ein Olympia-Finale. Da kämpft man bis zum letzten Ball. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass man alles probiert. Man sieht einfach, wie gefestigt die gesamte chinesische Mannschaft ist, nicht nur spielerisch, auch mental. Es ist einfach unglaublich, wie sie ihr hohes Level immer wieder abrufen können, wenn es darauf ankommt. Irgendwann wird aber der Tag kommen, an dem bei uns alles zusammenläuft. Leider war es heute noch nicht soweit.“
Hoffnung auf die 1:0-Führung durchs Doppel erfüllte sich nicht
Zuvor hatten sich die Hoffnungen auf die wichtige 1:0-Führung im Finale nicht erfüllt. Das Doppel Timo Boll/Patrick Franziska blieb ohne Satzgewinn und scheiterte an einer Gala-Vorstellung Chinas. Kraken-Topspinkünstler Xu Xin und Ma Long ließen Deutschlands Parade-Duo nie in einen Spielfluss kommen. Nur zweimal, in Durchgang eins und drei nach hohen Rückständen, vermochten die China-Open-Sieger von 2019 bei 7:7 auszugleichen, bevor Ma Long und Xu Xin jeweils auf 11:7 und 11:9 davonzogen und den wichtigen Auftaktsieg mit lauten Schreien bejubelten. Timo Boll sagte anschließend anerkennend: „Die Chinesen haben von Anfang an wieder wahnsinnig gut in diesem Doppel gespielt. Sie sind einfach die Besten.“ Patrick Franziska ergänzte: „Die Chinesen haben ein aggressives und präzises Doppel gespielt. Das war noch einmal eine ganz andere Qualität als gestern gegen Japan. Wir sind leider nie richtig ins Spiel hineingekommen. Wir haben alles versucht. Wir müssen neidlos anerkennen, dass sie im Doppel eine Klasse besser waren.“
Quelle: DTTB, Bild: Picture Alliance